Sydney 30 - Ich wurde entlassen - Eine alltägliche Tragödie
Wir haben
endlich Sommer! Die Sonne scheint, die Nachbarskatzen buhlen um
Streicheleinheiten und alle schmücken ihre Weihnachtspalmen in den Vorgärten.
Seit dem letzten Blogeintrag habe ich eine neue Stelle begonnen und verloren,
habe einen neuen Met gebraut ein modernes Kleid genäht, mich dem
Existenzialismus gewidmet, Halloween gefeiert und wieder mit der Stellensuche
angefangen.
Ich habe
die Stelle als Campaign Planning Coordinator am 16. Oktober angefangen. Die
Firma verkauft Plakatstellen. Mein Job war es, die Bestellung, die der Verkauf
uns sendete, in einen Vertrag im System umzuwandeln. Es war eine Stelle in der Dateneingabe.
Acht Stunden täglich sass ich vor zwei Bildschirmen und mussten haargenau den
zum Teil komplexen Prozessen folgen. Dazu kam, dass ich auffiel wie ein bunter
Hund und meine ehemaligen Kollegen… nicht. Ich war sehr unglücklich und schämte
mich für meine Situation. Allerdings wollte ich bleiben, da ich vorher schon so
lange auf der Suche nach einer Stelle war. Es hat alles nichts geholfen. Nach
sechs Wochen hat man mir gekündet. Ich war zuerst im Schockzustand. Ich wurde
noch nie entlassen. Dann erinnerte ich mich an etwas, dass meine Mutter in
solchen Momenten zu mir sagt: „Dies ist eine alltägliche Tragödie“. Ich tat,
was Leute meiner Generation so tun, wenn sie mit der Situation überfordert
sind: Ich ging auf Reddit und las Beiträge von Leuten, die auch entlassen
wurden. Da fühlte ich mich schon ein wenig besser. Danach änderte ich meinen
Lebenslauf und korrigierte meine Berufsbeschreibung auf Linkedin.
Am nächsten
Tag putzte ich aggressiv die Wohnung und ging zum Yule Festival (Wintersonnenwende)
des Mittelalterclubs. Das war super. Ich sprach mit ein paar Leuten über meine
Entlassung und auf einmal erzählten alle von ihren Erfahrungen als sie
entlassen wurden. Da fühlte ich mich gleich nicht mehr wie eine Versagerin. Es
gab mir auch neuen Mut. Keiner dieser Leute hat den Kopf in den Sand gesteckt.
Alle fanden wieder eine Stelle. Eine alltägliche Tragödie. Ich habe mich wieder
auf Stellen beworben und habe zwei Bewerbungsgespräche nächste Woche. Mein Kopf
ist komplett sandfrei. Hier noch ein Foto vom Yule Festival:
Nun werde
ich die Arbeit für den Rest des Blogs nicht mehr erwähnen.
Camilla kam
noch einmal nach Sydney für ihren Graduation Zeremonie. Wir gingen mit ihr am
Abend in ein Restaurant von welchen aus man das Opera House sehen kann. Es war
Donnerstagabend. Die Bars und Restaurants waren voller Leute, weil der
Melbourne Cup (Pferderennen) am frühen Nachmittag stattfand. Für dieses Rennen lässt
das ganze Land Alles stehen und liegen. Es dauert nur zehn Minuten, aber davor
und danach wird ordentlich gebechert. Natürlich gibt es auch die Leute, die das
Rennen nicht unterstützen, wegen der Tierquälerei. Viele Australier sind an
diesem Tag jedoch in Feierlaune und so war es dann auch am Donnerstag 6.
November, als Camilla am selben Tag wie der Melbourne Cup, ihren Abschluss
feierte. Es war toll nochmals zusammen zu sitzen. Die alte Gang sozusagen. Denn
bald würde sie wieder nach Norwegen gehen. Ich sprach mit dem Pfarrer der
Norwegian Society über Hermann Hesse. Camilla war im Organisationskommittee der
Society und kannte ihn daher. Ich habe das Thema angeschnitten, weil Siddharta das
einzige mir bekannte Buch war, welches sich mit Spiritualität befasste. Er hatte
es selbst auch einmal gelesen und als Theologe wusste er natürlich mehr über
den Buddhismus als ich.
Kurz darauf
fand Kimbas und Siggys Halloween Party statt. Ich habe für diesen Anlass
kurzerhand ein Kostüm genäht und gebastelt. Eine Erdbeere mit einer Nadel drin.
Hier in Australien gab es im September eine grosse Rückrufaktion nachdem man
Nadeln in Erdbeeren gefunden hatte. Etwa 20 Leute behaupteten sie hätten Nadeln
in ihren Erdbeeren gefunden. Woolworths hat aufgehört Nähnadeln zu verkaufen.
Die Grosshändler haben irgendwann sogar angefangen die Erdbeeren durch
Metalldetektoren zu schicken, bevor sie verkauft wurden. Schlussendlich wurde
ein 15 jähriger Knabe verhaftet, der die Tat gestanden hat. Niemand wurde
verletzt oder Schlimmeres. Es war ein sehr teurer Kinderstreich.
Zurück zur
Party. Ich habe mir etwas Sorgen gemacht, dass mein Kostüm schlecht ankommen
könnte. Das war dann aber doch nicht der Fall. Hätten wir eine Fasnacht in
Australien würde jede zweite Gugge oder Cligge dieses Sujet aufgreifen. Auf der
Party waren Haie, Pennywise und Benji (der kleine Junge, der Pennywise’s erstes
Opfer ist in Stephen Kings „IT“), der Terminator, ein Magpie, Son Goku und noch
viele mehr. Mein Kostüm war auch recht abstrakt. Hier ein Foto.
Jeden
zweiten Samstag treffe ich mich mit den Mittelalterleuten für Arts und Sciences.
Dort bringt man sein Projekt mit (Kleid, Stickerei, Pergament, etc.) und kann
daran arbeiten, sich von anderen Mitgliedern Ratschläge einholen und sonst
einfach plaudern. Ich habe kürzlich angefangen mein eigenes Wappen zu
gestalten. Ich habe eigentlich schon ein schönes Familienwappen allerdings ist
es nicht zulässig im Mittelalterclub, wegen der drei Blumen auf blauem Grund.
Das hat im Club eine besondere Bedeutung und so weiter. Stattdessen habe ich
ein eigenes Wappen erstellt. Ein Wildschweinkopf auf grünem Grund, drei
Edelweiss darunter, ein weissroter Ring um die Edelweisse und das Wildschwein
und darunter die Inschrift „Audax et Curiosa“ (Deutsch: „Mut und Neugier“). Ich
habe angefangen mein Wappen auf einem Stück weisser Baumwolle zu sticken. Das
wird mich vermutlich viel Zeit kosten, aber man kann den Stickreifen überall
hin mitnehmen. Das machen ein paar Leute bei Mittelalterevents. Man sitzt dann
zusammen, plaudert und stickt. Wir nennen das „Stitching and Bitching“ im Club.
Ich habe
nun meinen dritten Met gebraut. Er ist noch am Fermentieren, aber er verspricht
gut zu werden. Er ist schon recht klar nach nur vier Wochen. Wenn alles gut
geht werde ich etwa 12 Liter Met ans grosse Mittelalterfest im April mitbringen
können. Ich könnte vielleicht einmal alles dokumentieren und einen Blogeintrag
über s Metbrauen schreiben. Lasst mich wissen, ob das jemanden interessieren
würde. Hier noch ein Foto, das David aufnahm. Ich war gerade dabei zu sehen, ob die Hefe noch am leben war. Ich sehe etwas aus wie Gollum, wenn ich meinen Met anstarre, meinte David.
Nach nur
zwei Wochen ging ich wieder an eine Party zu der Kim mich einlud. Sie hatte nun
auch ihren Masterabschluss in der Tasche und veranstaltete deswegen eine Hawaiianische
Party. Dieses Mal nähte ich mir ein schönes Kleid. Ich fand den Stoff in Lincraft
ein paar Wochen zuvor und habe mir dann gleich ein Schnittmuster für ein
Wickelkleid dazu geholt. Hier ist ein Foto des Kleids.
In der
Selben Zeit lass ich ein Buch mit dem Titel „Existentialism: A beginner’s guide“.
Ich fand es unglaublich spannend. Man stellte Sartre, Heidegger, Bouvoir,
Camus, Kierkegard, Descartes, Fanton und noch viele weitere vor. Da der
Existenzialismus von der menschlichen Perspektive aus argumentiert (mit unserem
Bewusstsein als Zentrum), ist dies egalitärer als andere philosophische Schulen.
Ich vertiefe das jetzt nicht weiter. Ein Gedanke, der mir durch den Kopf ging
war, dass ich „Der Fremde“ von Camus erst nach diesem Buch hätte lesen sollen.
Das hätte sehr viel mehr Sinne ergeben, ich fand das Buch damals nämlich sehr
verwirrend. Oh, ein weiterer Gedanke, den Kierkegard und Sartre (ein Christ und
ein Atheist) beide verfolgten und der mir etwas Gelassenheit verschaffte: Die
Welt ist absurd (Abwesenheit menschlicher Logik). Nur weil man das Richtige tut
wird man nicht belohnt und nur weil man das Falsche tut, wird man nicht
bestraft. Wenn wir dessen bewusst werden, sind wir auch nicht ganz so frustriert,
dass wir nicht immer das bekommen, was uns laut menschlicher Logik zusteht. Das
war jetzt sehr kurz zusammengefasst und ich könnte das noch sehr viel
detaillierter wiedergeben, aber ne. Das könnt ihr nach eigener Lust und Laune
nachlesen. Ich werde in der Zukunft definitiv mehr über Philosophie lesen. Hier noch ein paar Fotos von blühenden Jacarandas, Nachbars Katzen, einem mit Gartenzwergen überquellenden Garten und die Anzeigetafel der Newtown Feuerwehr. Einfach so.
Wir haben
endlich wieder ein Auto! In Australien ist es nicht leicht ohne Auto. Alles ist
ein wenig weiter entfernt. Dies kommt uns gerade auch sehr günstig, da wir nach
Weihnachten für ein paar Tage nach Nambucca Heads fahren. Das ist etwa fünf
Stunden nördlich von hier. Wir werden wandern, schwimmen, in der Sonne liegen
und ich werde David das Jassen beibringen.
Vorher
werde ich allerdings wieder Wiehnachtsgutzi backen. A pro pros Backen. Ich
backe jetzt jeden Sonntag einen Zopf. Das ist erstens super günstig und
zweitens kann man in Australien keinen Zopf kaufen. Hier ist ein Foto meines
ersten Zopfes von vor zwei Wochen.
Wir werden
im Juni/Juli auch wieder in die Schweiz kommen. Wir haben genug Geld um die
Flugtickets zu kaufen und den Rest sparen wir zusammen.
Ich wünsche
Euch allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
G’Day from far away.
Bis demnächst.
piranialight.
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